SENDEN. Sie stehen vor einer Premiere und haben sich darauf gut vorbereitet. Jule Germann und Felix Möller entscheiden als 16-Jährige mit, wenn am 9. Juni in Deutschland die Abgeordneten für das Europäische Parlament gewählt werden. Also eine Qual der Wahl? Oder eher eine Chance, mitbestimmen zu können? Im Gespräch mit unserer Redaktion betonen die Zehntklässler des Joseph-Haydn-Gymnasiums, dass sie es „cool“ finden, ein Mitspracherecht zu bekommen. Diese Verantwortung nehmen sie aber auch ernst.
Das Wahlrecht für Jugendliche, das in Deutschland erstmals bei der Europawahl gilt, betrachten Jule Germann und Felix Möller in doppelter Hinsicht als Vorteil: In ihrer Altersgruppe werde das ohnehin eher weit verbreitete Interesse an Politik, das nicht zuletzt durch Social-Media-Kanäle angefacht wird, noch verstärkt. Und: „Für uns bedeutet es eine neue Möglichkeit, uns politisch einzubringen“, sagt Jule Germann. Sie ist gespannt, wie sich diese neue Option auf die Wahlbeteiligung auswirkt.
Beide hoffen, dass mit den Jugendlichen als relevante Wählergruppe auch die Themen dieser Generation stärker berücksichtigt werden. Mit ihren Prioritäten und Perspektiven „ernst genommen werden“ ist ein zentrales Anliegen dieser Altersgruppe, zeigt sich im Gespräch. Inhaltlich nimmt der Kampf für den Klimaschutz den obersten Rang ein: „Das ist eines der wichtigsten Themen“, unterstreicht Felix Möller. „Das ist das, was unsere Zukunft am meisten betrifft“, räumt Jule Germann diesem Thema Vorrang ein.
Ebenfalls weit oben auf die politische To-do-Liste – aber nicht unbedingt nur mit Blick auf die EU – setzen die Sendener „bezahlbaren Wohnraum“, die Entwicklung der Lebenshaltungskosten und Bildung. Wie sehr Entscheidungen, die in Berlin oder Brüssel gefällt werden, das eigene Leben beeinflussen, zeigt sich bei der Frage nach der Rückkehr zur Wehrpflicht oder einer obligatorischen sozialen Tätigkeit. Vorstöße in diese Richtung „kann ich verstehen“, so Felix Möller. „Damit diejenigen, die sonst nicht engagiert sind, was machen.“ Seine Klassenkameradin setzt den Akzent etwas anders: „Ja, aber ich finde nicht, dass es verpflichtend sein soll“, lautet ihre Position. Beide stimmen darin überein, dass sie als G9-Abiturienten mit einem Studium, womöglich Medizin oder Lehramt samt Referendariat, dann später ins Berufsleben starten, wenn noch eine Art FSJ oder Dienst an der Waffe in die Vita gepfercht werden sollen. Überraschend: Die 16-Jährigen schlagen den Bogen noch weiter in die Zukunft: Wann kann – wenn im erlernten Beruf auch noch ein paar Jahre gearbeitet werden soll – denn mal die Familienplanung mit Kindern angegangen werden, lautet eine Frage an die politischen Entscheider.
Welche Partei die am ehesten passenden Antworten auf die Fragen der jungen Heranwachsenden gibt? Darüber sammelten und sammeln die beiden noch Informationen. Die Wahlarena für die weiterführenden Schulen in Senden hat dazu beigetragen, sich einen Eindruck zu verschaffen, war aber nicht der einzige Faktor zur Meinungsbildung: „Die Eindrücke, die ich eh schon hatte, wurden noch verstärkt“, bilanziert Jule Germann die Diskussion in der Steverhalle. Sie will ihre neuralgischen Punkte noch konkret an den Wahlprogrammen abchecken. Felix Möller macht darauf aufmerksam, dass in der Wahlarena die Kandidaten nicht immer die Parteilinie, sondern ihre persönliche Position erläutert haben.
Und was ist mit dem dort im Schlusswort des Politikwissenschaftlers Prof. Dr. Klaus Schubert geäußerten Appell, die Jugendlichen sollten sich selbst engagieren? Einsatz zu zeigen, beispielsweise für Nachhaltigkeitsprojekte, das kommt für Felix Möller, der darin schon erste Erfahrungen gesammelt hat, durchaus in Betracht. Jule Germann hat „grundsätzlich schon Interesse daran, sich politisch zu engagieren“. Aber: „Ich weiß nicht, ob ich mich auf eine Partei festlegen würde.“
von Dietrich Harhues